Der Staat der Vatikanstadt in Rom ist
bekanntlich der kleinste der Welt. Aber er ist offenbar nicht so klein, dass
dort nicht Verbrechen und Vergehen begangen werden, und nicht zu klein, als dass
nicht eine Justizbehörde ihres Amtes walten würde. Genau 522 Strafprozesse und
424 Zivilverfahren seien zur Zeit vor den Gerichtshöfen zu verhandeln, erklärte
jetzt in einem Rechenschaftsbericht der zuständige vatikanische "Promotor
Iustitiae", der "Rechtspfleger" Professor Nicola Picardi.
Alles geht nach rechtsstaatlich gepflegter Ordnung zu, in erster, zweiter und
dritter Instanz, vor dem Tribunale, Corte di Appello und Corte di Cassazione, in
der drei Kardinäle (Mario Francesco Pompedda, Agostino Cacciavillan und bislang
auch der am Montag verstorbene Jan Schotte) das letzte Wort haben. Bedauerlich
sei jedoch, so Picardi, dass die vatikanischen Gesetzesmühlen zu langsam mahlen,
mit 466 Tagen für Strafprozesse etwas schneller als die des lieben Gottes, etwas
behäbiger als die der italienischen Justiz (381 Tage).
Die Phantasie von Schriftstellern ist schlimmer
Bei nur rund 500 Staatsbürgern des Vatikans - etwa 50 Kardinälen mit dem Papst
an der Spitze, 340 Klerikern, dazu Schweizer Gardisten und ein paar Laien - wäre
das eine
erschreckende Kriminalitätsrate und Prozessmenge.
Aber Vatikan-Bürger sind kaum daran beteiligt. Nur in der Phantasie von
Schriftstellern wird ab und zu ein Papst von umtriebigen Kardinälen ermordet.
(hmpf, zu früh gefreut...
)
Gegenstand der schwebenden Verfahren sind vielmehr Diebstähle und Betrügereien,
die an den jährlich 18 Millionen Besuchern der Petersbasilika und der
Vatikanischen Museen verübt werden. Die Sicherheitskräfte, vor allem die
"Gendarmeria", tun zwar ihr Bestes, in Uniform und in Zivil, gegen Taschendiebe
und Gauner. Aber sie können nicht überall ihre Augen haben. Immerhin fallen
Gewohnheitsdiebe schneller auf. Doch den Taschendieben erleichtert ihre Arbeit,
dass Pilger und Besucher vom heiligen Geschehen in der Kirche und den
Kunstwerken in den Museen meist abgelenkt sind.
Fast alle Diebe gehen straffrei aus
Die Strafverfolgung erschwert zudem, dass es sich immer um "Ausländer" handelt,
denen als Schädigern nicht so schnell der Prozess zu machen sei. Leider würden
in 90 Prozent der gemeldeten Diebstähle und Betrügereien die Täter straffrei
ausgehen; der Vatikan ist offenbar doch kein Polizeistaat. Die zehn Prozent der
Ertappten hätten gute Chancen, ohne einen Aufenthalt hinter Gittern
davonzukommen; die Prozeduren dafür seien wegen der internationalen
Verwicklungen gewöhnlich zu aufwendig. Deshalb erwäge man, so der
Vatikan-Advokat Picardi, sich dem Schengener Abkommen der Europäischen Union
anzuschließen - wenn der "Stato della Citta del Vaticano" dort als Anhängsel
Italiens willkommen sei.
Quelle: faz.net
11. Januar 2005
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