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Der göttliche Funke

 

Astronomie ist die einzige Naturwissenschaft, die der Vatikan in eigener Regie betreibt. Doch die Suche nach Gott, meinen die Patres, komme damit keinen Schritt weiter.


Von Peter Haffner

ES IST NICHT SO, dass das Oberhaupt der katholischen Kirche immer über den größten Weitblick verfügte. In seiner Sommerresidenz Castelgandolfo, eine halbe Autostunde von Rom entfernt, muss der Heilige Vater sich mit einem Seitenflügel begnügen, von wo aus er weder den unverschämt blauen Lago di Albano noch die ferne, im Dunst verzitternde ewige Stadt sehen kann, aus deren Skyline bei klarer Sicht die Kuppel des Petersdoms ragt.

Das alles liegt einem anderen zu Füssen, Pater George V. Coyne. Der Direktor der Specola Vaticana hat sein Büro auf der Stirnseite eine Etage über dem Chef. «Es ist die Welt, die auf den Papst blickt, nicht umgekehrt», kommentiert er mit trockenem Lächeln sein Privileg, das er fast so genießt wie die Aussicht aufs Weltall. Astronom von Beruf, leitet Pater Coyne eine zehnköpfige Gruppe von Glaubensbrüdern, die ihre Forschungen im Universum mit demselben heiligen Eifer betreiben wie andere Wissenschafter auch. Und mit nicht minder modernem Gerät.

Das mag auf den ersten Anblick nicht so aussehen. Die Kuppeln der beiden Observatorien von Castelgandolfo, die dem senfgelben päpstlichen Palast ein moscheeartiges Aussehen verleihen, bergen zwei Zeiss-Teleskope, die vor mehr als einem halben Jahrhundert neu waren. In den Gängen des Gebäudes hängen Schwarzweissaufnahmen der Mondoberfläche von 1894 neben ersten Farbaufnahmen von Galaxien, Nebeln und Supernovas, die in ihren rosa und blauen Tönen wie gemacht scheinen, von nichts als der Schönheit der Schöpfung zu künden. Und in der Bibliothek, die etwas mehr als 22 000 Bände zählt, ziehen vorerst die bibliophilen Kostbarkeiten die Aufmerksamkeit auf sich - die «Philosophical Transactions» der Londoner Royal Society, die von ihrem ersten, 1665/66 erschienenen Band an komplett sind, und dann natürlich, in einem Metallschrank eingeschlossen, die Werke von Kopernikus, Kepler, Galileo Galilei und anderen Ketzern.

Studieren kann man die Schriften in Lesezimmern, die mit ihrem etwas durcheinander gewürfelten Mobiliar und den alten, durchgesessenen Fauteuils an einen englischen Club erinnern, der schon bessere Tage gesehen hat. In der Stille dieser Zellen, in der man vermeint zu hören, wie die Bücher miteinander reden, könnte man auf den Gedanken kommen, es ginge hier darum, noch einmal den Prozess gegen jene alten Irrlehren aufzurollen, um ein für allemal den Vorrang der Theologie vor aller Wissenschaft zu behaupten.

Ein Blick in die kleine Bücherei des hauseigenen Verlages belehrt einen eines Besseren. Werke, die Titel tragen wie «Chaos and Complexity», «Polarized Radiation of Circumstellar Origin» oder «Quantum Cosmology and the Laws of Nature» versammeln Beiträge zu einer nach rein wissenschaftlichen Kriterien geführten Debatte, wie sie auch in den zahlreichen Fachzeitschriften ausgetragen wird, auf die man hier abonniert ist.

Pater Coyne, Amerikaner und seit seinem achtzehnten Lebensjahr Mitglied des Jesuitenordens, möchte denn auch deutlich die Wahrheit des Glaubens von den Wahrheiten der Wissenschaften unterschieden haben. Der Urknall, die Evolution, die Möglichkeit außerirdischen Lebens - das alles ist Domäne der Naturwissenschaften, und darüber mag er auch nicht anders reden denn als Naturwissenschafter. Fast etwas ärgerlich winkt er die Frage ab, welches Ende des Universums er als Theologe bevorzugen würde - den Kältetod, der eintritt, wenn es unaufhörlich expandiert, oder den Wärmetod, den es erleidet, wenn irgendwann einmal die Expansion aufhört und es sich zusammenzieht und in jenem winzigen, ungeheuer dichten und ungeheuer heißen Punkt endet, von dem aus alles begann.

Die Beantwortung der Frage, meint Pater Coyne im Einklang mit den Fachkollegen, hänge allein davon ab, wie viel «dunkle» Materie sich im Universum schließlich finde. «Es könnte auch unendlich pulsieren», wirft er ein, und der Gleichmut, mit dem der Mittsechziger die derzeit diskutierten Möglichkeiten erörtert, gibt einen Eindruck davon, wie unberührt eine wie auch immer geartete wissenschaftliche Erkenntnis ihn in seinem Gottesglauben lässt. Wenngleich er dann mit theologischen Fragestellungen von einem Raffinement aufwarten wird, wie es sich die Inquisition in ihren besten Zeiten nicht hätte erträumen können.

DOCH WAS DIE WISSENSCHAFT, wenigstens soweit es die Himmelskunde angeht, mit dem Glauben verbindet, ist die klösterliche Abgeschiedenheit, deren sie bedarf. Weit weg von aller Zivilisation, auf möglichst hohen Bergen, werden heute die Abteien der Astronomen, die Observatorien, errichtet. Die so genannte Lichtverschmutzung, die eine moderne Stadt mit sich bringt, trübt die Sicht ins All. Dies war 1933 der Grund, warum die Specola Vaticana, ursprünglich in den Gärten hinter dem Petersdom zu Hause, von Rom nach Castelgandolfo umzog. Und es ist der Grund, warum man sich in den achtziger Jahren nach einem neuen Standort für ein neues Teleskop umzuschauen begann. Seit 1994 ist es in Betrieb: das Vatican Advanced Technology Telescope (VATT), auf 3200 Metern Höhe auf dem Emerald Peak des Mount Graham im Südosten von Arizona in den USA, etwa 160 Kilometer von Tucson entfernt.

Gebaut wurde das 3,5 Millionen Dollar teure Instrument unter Pater Coynes Leitung in Zusammenarbeit mit dem Steward Observatory der Universität von Arizona, und es rühmt sich einiger technischer Besonderheiten, die es zu einem Prototyp von Teleskopen einer neuen Generation machen. Der Spiegel, 1,8 Meter im Durchmesser, wurde erstmals in einem rotierenden Schmelzofen hergestellt, womit eine äußerst präzise Oberfläche und damit das sehr hohe Auflösungsvermögen von 0,06 Bogensekunden erreicht wurde. Unter idealen Sichtbedingungen kann man damit Objekte von der Größe eines Fussballstadions auf dem Mond erkennen. Und tiefer ins Universum blicken als mit vergleichbar großen Instrumenten - noch das Licht von Galaxien, die etwa fünf Milliarden Lichtjahre entfernt sind, wird aufgefangen. Da jeder Blick ins All ein Blick in die Vergangenheit ist, heißt das, dass man mit dem VATT einen Drittel der Wegstrecke zurück bis zum Urknall verfolgen kann.

Pater Coynes Spezialgebiet sind die Doppelsterne - weiße Zwerge, Neutronensterne oder schwarze Löcher, die Energie und Materie von ihren Partnern aufsaugen, sowie die Scheiben aus Staub und Gas, die junge Sterne umgeben. Gibt das eine Aufschluss über die Geburt von Sternen in Galaxien, lässt sich am anderen erkennen, wie Sonnen und Planeten entstehen. Die klare, trockene und wolkenlose Luft dieser Berggegend, in der neben der Aufzucht von Christbäumen zuvor kaum etwas los war, erlaubt die dazu nötigen Langzeitbeobachtungen.

Wenn es auch in Sensationsberichten hieß, der Vatikan wolle von Amerika aus die Außerirdischen evangelisieren - die Zeiten der Kreuzzüge sind vorbei. Dem heimischen Rothörnchen, einer bedrohten Spezies, wurde auf dem Areal eine geschützte Zone eingeräumt. Und um niemanden in seinen religiösen Gefühlen zu verletzen, hatten die Jesuitenpatres, bevor sie mit dem Bau ihrer Sternwarte begannen, die neunzehn Indianerstämme der Umgebung befragt, ob sie sich dadurch in ihren traditionellen Glaubensriten gestört fühlten. Sie verneinten, verlangten aber, das Fernrohr dürfe nicht an den heiligen Stätten selbst stehen, weswegen man darauf verzichtete, auf der höchsten Spitze der Bergkette zu bauen, wo alte Grabhügel entdeckt worden waren.

DAS INTERESSE des Heiligen Stuhls an der Erforschung des Himmels war von Anfang an kein religiöses. Papst Gregor XIII., beschäftigt mit der Reform des Kalenders, ließ 1578 im Vatikan den «Turm der Winde» erbauen, wo meteorologische und später auch astronomische Beobachtungen gemacht wurden. Beauftragt damit waren die Jesuiten, die im Laufe der Zeit auch mit einer Reihe von wissenschaftlichen Leistungen aufwarten konnten. Pater Angelo Secchi (1818-78) etwa, einer der Begründer der modernen Astrophysik, ist der Vater der Spektralklassifikation von Sternen, deren über viertausend er beobachtete und in vier Klassen unterteilte. Im Studium der Sterne sah er einen Weg, den menschlichen Geist zu Gott zu erheben und Gottes Herrlichkeit zu schauen. So lautet auch das Motto auf einer Tafel vor der Kuppel des Observatoriums in Castelgandolfo: «Deum Creatorem, venite adoremus!» - «Kommt, lasst uns Gott den Schöpfer anbeten!»

Die offizielle Gründung der Specola Vaticana 1891 verdankte sich allerdings einem anderen Motiv, galt es doch, dem herrschenden Antiklerikalismus des 19. Jahrhunderts Paroli zu bieten. Wie Papst Leo XIII. in seiner Eröffnungsbotschaft sagte, sollte «jedermann erkennen, dass die Kirche und der Klerus nicht gegen wahre und gründliche Wissenschaft sind, sondern dass sie sie begrüßen, ermuntern und fördern». Als in Paris dann ein internationales Programm zur fotografischen Erfassung und Vermessung des gesamten Sternenhimmels lanciert wurde, erhielt auch das Observatorium des Vatikans einen Abschnitt zugeteilt.

Und der Vatikan hat unter der Ägide von Johannes Paul II. aufgehört, wissenschaftliche Erkenntnisse zu ignorieren, zu usurpieren oder gar, wie einst, zu verketzern. Galilei und Darwin sind «rehabilitiert», was heißt, dass die biblische Schöpfungsgeschichte auch in der katholischen Kirche nun offiziell nur mehr allegorisch aufgefasst wird. Wenngleich das etwas kurios erscheinen mag - darin ist Rom fortschrittlicher als etwelche protestantischen Strömungen in den USA. Das Christentum, sagte der amtierende Papst in einer Rede vor Naturwissenschaftern, Theologen und Philosophen anlässlich einer Studienwoche im September 1987 in Castelgandolfo, besitze die Quelle seiner Berechtigung in sich selber und erwarte nicht, diese in der Wissenschaft zu finden.

Was der Kirche bleibt, ist die Moral. Wenn die Wissenschaft, so sagte der Heilige Vater gleichenorts, die Religion von Irrtümern und Aberglauben reinigen könne, dann könne die Religion ihrerseits die Wissenschaft von Götzendienst und falschen Verabsolutierungen reinigen.
GENAU DIESEN VORWURF macht Pater Coyne Stephen Hawking, jenem Physiker, der in der Zunft zu den Männern zählt, die die Genesis neu schreiben. In seinem Bestseller «A Brief History of Time» berichtet Hawking von einer Kosmologentagung, die 1981 auf Einladung des Vatikans in Rom stattfand und wo der Papst ihnen gesagt habe, sie «täten gut daran, die Entwicklung des Universums seit dem Urknall zu erforschen, sollten aber den Urknall selbst nicht ergründen wollen, denn das sei der Augenblick der Schöpfung, mithin das Werk Gottes». Das nun habe der Papst nie gesagt, sagt Pater Coyne mit sichtlicher Bewegung und greift zum Beweis nach dem Band, in dem seine Worte abgedruckt sind. Und Hawkings Hypothese, dass die Raumzeit zwar endlich, aber nicht begrenzt sei, also keinen Anfang und somit keinen Schöpfungsaugenblick habe, erledige den Glauben an Gott nicht. Wenn er als Physiker von Unendlichkeit rede, sei das etwas anderes, als wenn er als Theologe davon rede; Gott sei unendlich in einem transzendentalen Sinn und nicht in einem materiellen - dasselbe Wort meine nicht dasselbe.

«Stephen ist ein großer Wissenschafter, aber von Theologie versteht er nichts», sagt Pater Coyne und betont: «In der christlichen Doktrin hängt das Universum von Gott ab, egal, wie es begonnen hat.» So hält er es umgekehrt auch für falsch, im Urknall selbst, jenem «Fiat Lux», Gottes schöpfende Hand sehen zu wollen - eine Ansicht, die in der katholischen Kirche, namentlich von Papst Pius XII., nur allzu gern verbreitet wurde, nachdem man einmal den Urknall anerkannt und festgestellt hatte, dass die Physiker sich ihm nur bis zu einer Zehnmilliardstelsekunde nähern können, da jenseits dieses Horizontes alle physikalischen Gesetze versagen. Gott, sagt Pater Coyne, bedeute nicht die Erklärung irgendwelcher Dinge, sondern in erster Linie Liebe. Und zwar die Liebe einer Person, die sich selbst gab.

Es sei eine Vermessenheit der Physiker zu meinen, wenn sie ihr Ziel einer «Theorie von allem» erreicht hätten und das Universum verstünden, hätten sie den Geist Gottes verstanden. Gott, religiös aufgefasst, ist weder Weltformel noch Erklärungsmodell und seine Offenbarung mehr als bloße Kommunikation von Information. Als Wissenschafter ist Pater Coyne interessiert, auf so viele Fragen wie möglich Antworten zu bekommen; als gläubiger Mensch sei ihm aber klar, dass es nicht auf alle Fragen eine wissenschaftliche Antwort gebe, und das sei etwas, was die Wissenschafter von der Religion lernen sollten.

EINE DIESER FRAGEN ist einfach, und es ist die schwierigste zugleich: Warum sind wir hier? Das Universum hat etwa zwölf Milliarden Jahre gebraucht, bis es die ersten Formen von mikroskopischem Leben hervorbrachte, und erst vor wenig mehr als hunderttausend Jahren ist der Mensch entstanden. Über Äonen hinweg bedurfte es dazu einer äußerst feinen Abstimmung des Evolutionsprozesses und der ihn bestimmenden physikalischen Größen. Für diese Feinabstimmung gibt es keine gültige wissenschaftliche Erklärung. Hätten nur leicht andere Bedingungen geherrscht, gäbe es entweder das Universum nicht oder es gäbe uns nicht in diesem Universum. Und in der Raumzeit-Struktur dieses Universums können wir nur während eines vergleichsweise winzigen Zeitraums und an einem noch winzigeren Ort existieren; wenn wir den Planeten nicht vorher selber zerstören, wird unsere Gattung spätestens in fünf Milliarden Jahren, nachdem die Sonne ihren Brennstoff verbraucht hat, nicht mehr da sein. Mit anderen Worten: es ist die unglaubliche Unwahrscheinlichkeit der Tatsache unserer Existenz, die nach dem Glauben ruft.

Aber sind wir denn überhaupt allein im Universum? Gibt es irgendwo da draußen in den Weiten des Alls Leben, womöglich intelligentes? Auch dies, will Pater Coyne unterstrichen haben, sei keine Sache des Glaubens, sondern des Beweises. Gerade als Wissenschafter allerdings neige er zur Annahme, wir seien nicht die einzigen - schon aus rein statistischen Gründen: Unter den Milliarden von Sternen allein unserer Galaxis, der Milchstrasse, finden sich schätzungsweise etwa dreißig Prozent Sonnen wie die unsrige; und da wir die Geburt von Sonnen und die Entstehung von Planeten ziemlich genau verstünden, wäre es eigentlich seltsam, auszuschließen, dass es anderswo nicht auch zur Entstehung von Leben gekommen ist.

Wenn vom Standpunkt des Wissenschafters die Existenz von Außerirdischen weder unmöglich noch unwahrscheinlich ist, so stellen sich dem Theologen, wie Pater Coyne nun mit einem geradezu spitzbübischen intellektuellen Vergnügen erläutert, dadurch einige vertrackte Probleme. Er selber sei in dieser Hinsicht, bekennt er offen, ein Häretiker. Denn die Behauptung der Religion, der Mensch sei das Zentrum des Universums, halte er für unvereinbar mit den Erkenntnissen der Wissenschaft, und in einem Schöpfungsprozess, den er als kontinuierlichen und evolutionären verstehe, habe der Wunsch der Katholiken nach einer speziellen Rolle Gottes für den Menschen einen schweren Stand.

Also sei es Aufgabe der Theologen, neue Interpretationen der Glaubenslehre zu finden. Pater Coyne zitiert in diesem Zusammenhang gern Kardinal Robert Bellarmin, der im Falle Galileis sagte, wenn etwas wissenschaftlich bewiesen sei und der Heiligen Schrift zu widersprechen scheine, dann sei es Sache der Theologen, die Schrift neu zu interpretieren; sei aber etwas nicht wissenschaftlich bewiesen, sollte die Schrift maßgebend sein. Warum also, meint Pater Coyne, sollten wir Theologie mit schlechter Wissenschaft treiben, wenn wir es auch mit guter könnten?

Was aber, führt er weiter aus, wären die theologischen Konsequenzen, wenn es außerirdische Intelligenz gäbe? Wären die ETs, intelligent und beseelt, ebenso von der Erbsünde gezeichnet wie wir Menschen, die wir gegen Gott revoltiert haben? Und würde Gott, der sich entschied, uns Menschen von der Sünde zu erlösen, indem er uns seinen einzigen Sohn sandte, mit den ETs gleich verfahren? Wie könnte er Gott sein, wenn er dies nicht täte? Aber auf welche Weise könnte dann Jesus, der sein Leben hingab, uns zu erlösen, dies auch für die ETs getan haben oder tun? Könnte Jesus Christus, ein wahrer Mensch, denn auf mehr als einem Planeten mehr als einmal existieren?

Es ist der Wissenschafter Coyne, der dem Theologen Coyne solche Fragen stellt. Überlegungen, die vielleicht nicht weniger spitzfindig sind, als es die scholastische Frage war, wie viel Engel auf einer Nadelspitze Platz fänden. Doch auch sie wurde beantwortet.

DIE NACHRICHT, in einem Marsmeteoriten seien fossile Spuren primitiven Lebens gefunden worden, hat auch im Vatikan für Aufregung gesorgt, ist man doch stolzer Besitzer einer der größten Meteoritensammlungen der Welt. 1020 Stück von 448 verschiedenen Fundorten umfasst die Sammlung der Specola Vaticana, die im Erdgeschoss des Palazzo von Castelgandolfo in einem großen Glasschrank untergebracht ist. Die meisten Exemplare stammen aus einer Schenkung des französischen Mineralogen Adrien-Charles, Marquis von Mauroy.

Bruder Guy J. Consolmagno, ein bärtiger Amerikaner in den Vierzigern, der am MIT in Boston Erdwissenschaften und Planetenkunde studiert hatte und nach einer beachtlichen wissenschaftlichen Karriere 1989 dem Jesuitenorden beitrat, betreut die Kollektion. Es war purer Zufall, dass er eben in jenem Südsommer 1996/97, als die Sensationsmeldung vom Leben auf dem Mars um die Welt ging, mit einer Gruppe von Wissenschaftern auf einer eineinhalbmonatigen Expedition in der Antarktis war, um Meteoriten zu suchen. Obschon sich Filmcrews, begierig, endlich die grünen Männchen zu finden, auf sie stürzten, gelang es ihnen, 390 Meteoriten zu sammeln. «Die meisten erkenne ich von bloßem Auge», sagt Bruder Consolmagno, «aber die Sache mit dem Leben, das ist ein weit schwierigeres Problem. Und es ist, was den besagten Marsmeteoriten betrifft, noch gar nichts erwiesen.» Doch auch in Castelgandolfo begann man die Marsmeteoriten etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, und im hauseigenen Labor unternahm Bruder Consolmagno eine ganze Reihe verfeinerter Dichte- und Porositätsmessungen.

«Das hier zum Beispiel ist ein Marsmeteorit», sagt Bruder Consolmagno und holt ein kleines Glasröhrchen aus dem Schrank, in dem ein vielleicht haselnussgroßes, hellbraunes Stück Stein liegt. «Chassignite, tombée le 3 octobre 1815 à Chassigny (France)» steht in Handschrift auf dem kleinen Beipackzettel. «Ein sehr seltenes Stück, ein Steinmeteorit, ein Achondrit, 15,7 Gramm schwer. Er stammt aus dem Marsinnern und nicht von der Oberfläche.» Und als habe er es mit einem Ungläubigen zu tun, doppelt er nach: «Sonst haben wir nur Eisen aus dem Inneren, aber dies ist Fels. Sehr ungewöhnlich.» Wie ich es ihm zurückgebe, lacht er. «Ungefähr 100 000 Dollar wert!»

Es ist das einzige Stück aus der Specola Vaticana, das zu Missionszwecken gebraucht wurde: um die Kamera der Pathfinder-Mission auf den Mars einzustimmen.


Peter Haffner ist Redaktor bei NZZ-Folio.

 

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